Autor: Dr. Gregor Ley, B.A. (Wels)
Titelfoto: Keynote Speaker – Matthias Horx (Trend- und Zukunftsforscher) | Foto © Robert Simon – dentaljournal
Bereits zum 24. Mal fanden die parodontologischen Expertentage statt, das 5. Mal empfing die Kongressleitung die Kollegen in Kitzbühel. Über 350 Teilnehmer folgten der Einladung und konnten mit TABLE CLINICS Präsentationen, Live-Votings und Podiums-Diskussionen spannende und interaktive Tage im nordöstlichen Tirol erleben.
Lang, normal, kurz. Ein langweiliger Referent mit einem normalen Vortrag, dem man nur kurz lauscht? Im Gegenteil, Dr. Engler-Hamm, MSc (München) strukturierte ein komplexes Thema einfach: Lange Zähne, normal lange Zähne und kurze Zähne waren der Inhalt eines der ersten Kongressvorträge am Donnerstag Nachmittag.
Bei langen Zähnen häufig zu beobachten sind nicht kariöse, zervikale Läsionen. Diese Zahnhalsdefekte stehen häufig in Verbindung mit Rezessionen. Deckungen dieser Rezessionen sind bis zur Schmelz-Zementgrenze problemlos möglich, sofern kein Knochenverlust vorhanden ist. Schwieriger wird es bei leichtem bis mittleren vertikalen Knochenverlust. Doch auch hier gibt es Lösungsansätze, wie der Zahnarzt mit eindrücklichen Bildern von Patientenfällen aus seiner Praxis bewies. Für die prothetische Versorgung von Implantaten im ästhetischen Bereich empfiehlt er eine konkave Gestaltung der Krone im Zahnhalsbereich um den Druck auf das Gewebe zu verringern.
Normale Zähne, normalerweise keine Probleme. Doch auch hier gibt es Faktoren, die es zu beachten gilt. Oftmals zu sehen sind jedoch Brücken im Frontzahnbereich, die im ridge snap design gestaltet sind. Hierbei überlappt die Brücke das Bindegewebe und sorgt so für eine ungewollte, optische Verlängerung der Kronen. Ästhetisch keine optimale Lösung. Durch eine ridge preservation können Brücken durch mehr bukkales Volumen im ovate pontic design hergestellt werden. Die provisorische Brücke verschließt idealerweise die mit Knochenaufbaumaterial gefüllten Alveolen und sorgt für eine komplikationsfreie Ausheilung vor Versorgung mit der definitiven Prothetik.
Kurze Zähne können bei knirschenden Patienten durch Attrition entstanden sein. Oder – und diese Tatsache wird häufig übersehen – ein inkompletter, passiver Zahndurchbruch ist die Ursache für quadratische, kurze Zähne. Hierbei liegt ein mukogingivaler Defekt vor, bei dem der Knochen direkt an der Schmelz-Zement-Grenze abschließt. Bei der Präparation solcher Zähne ist eine ästhetische Kronenverlängerung für die Einhaltung der biologischen Breite unausweichlich. Ein Waxup mit anschließendem Mockup kann für die Exaktheit des chirurgischen Eingriffs eine wichtige Hilfestellung geben.
Zusammenfassend stellt Dr. Engler-Hamm fest, dass der Behandlungsplan an die Zahnlänge sowie das Ausmaß an vertikalem Knochenverlust angepasst werden muss. In den jeweiligen Indikationen zeigen Sofortimplantationen mit Sofortversorgung zudem wenig Knochenverlust und liefern bei richtiger Umsetzung ein gutes, ästhetisches Ergebnis.
Dr. Jörn Thiemer, MSc, MSc (Bochum) hat ebenfalls einen Blick für das Ästhetische, sowohl auf Zähne als auch auf die Zubereitung von Speisen. Und er sieht deutliche Parallelen zwischen diesen Welten. Denn welche Arbeit hinter einem 7-Gänge-Menü auf Sterne-Niveau steckt ist, ähnlich wie bei der aufwendigen Restauration des Gebisses, auf den ersten Blick nicht sofort ersichtlich. Der passionierte Hobbykoch mit einem Hang zur Perfektion warnt genau vor diesem Wort – Perfektion. Denn Patienten, die mit dem Foto eines Topmodels in die Praxis stürmen und euphorisch „So sollen meine Zähne aussehen! Morgen!“ rufen, sollte eine realistische Erwartungshaltung nahe gelegt werden.
Offen Kommunikation ist wichtig. Da Perfektion im Auge des Betrachters liegt, wird sie je nach Betrachter nie perfekt sein. „Wir werden versuchen für Sie das bestmögliche Ergebnis zu erreichen, eine hundertprozentige Erfolgsgarantie gibt es in der Medizin jedoch nicht.“ So nimmt man etwas Wind aus den Segeln.
Was ist Erfolg im Auge des Zahnarztes? Für manchen ist dieser von rein monetärer Natur, andere möchten ein möglichst großes Rad mit vielen Mitarbeitern drehen, wieder andere sehen viel Freizeit als größtmöglichen Erfolg an. Ziemlich klar ist jedoch was Misserfolg bedeutet. Ständiges Nachbessern an schlecht geplanten Arbeiten, was viel Zeit und Nerven kostet und die Zufriedenheit des Patienten sinken lässt. Abgesehen von der medizinischen Qualifikation des Zahnarztes wird ein anderer Faktor immer wichtiger. Die Vermarktung der Praxisleistungen bzw. der Zahnarzt als eigene „Marke“. Was der Vortragende seit vielen Jahren erfolgreich lebt, empfiehlt er auch den anwesenden Zuhörern. „Storytelling ist von großer Bedeutung, etwas woran sich der Patient erinnert und womit er sich identifizieren kann. Sie müssen ihm nicht als Zahnarzt, sondern als Typ in Erinnerung bleiben.“ Denn ehrlicherweise bieten wir Zahnärzte vor allen Dingen eines an: Schmerzen, und die kosten
auch noch Geld. Es soll Menschen geben die dafür gerne bereit sind etwas zu zahlen, die finden sich jedoch eher selten in (unseren) Behandlungszimmern wieder.
Lebt nach dem LLL-Prinzip: Leidenschaft, Lust und Liebe. Beruflich und privat. Kein schlechter Vorschlag des Implantologen und Feinschmeckers für ein befriedigendes Lebenskonzept.
Leidenschaftlich ging es an Tag zwei weiter.
Nach der Willkommensrede des OGP Präsidenten PD Dr. Werner Lill und des Kongress Präsidenten Dr. Michael Müller betrat der Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx (Wien) die Bühne.
Er berichtete über die Megatrends und die damit verbundene Zukunft der Zahnmedizin und dürfte bei dem ein oder anderen Zuhörer für inspirierende Gedanken gesorgt haben. Wie konstruieren wir Zukunft? Welche Anzeichen gibt es, dass die Welt generell NICHT schlechter wird? Versucht uns die mediale Berichterstattung absichtlich das Gegenteil zu beweisen? Führt die Rettung armer Kinder zu einer Überbevölkerung?
(Spannend! Auflösung hier: http://www.gapminder.org/answers/will-saving-poor-children-lead-tooverpopulation/)
Was ist ein Zahnarzt? Handwerker, Künstler, überforderter Unternehmer, Epidemiologe, Marionette der Gesundheitspolitik!? Wie sieht der zukünftige Zahnarzt aus? Hochspezialist, Beziehungs-Designer, Fluider-Unternehmer, Team-Builder!?
Ein Denkanstoß jagte den nächsten. Fest steht: Die Medizin entwickelt sich immer weiter weg von der Krankenmedizin hin zu einer Gesundungsmedizin. Früher galt: nicht krank = gesund. Heutzutage sieht das anders aus. Fit und entspannt muss man sein, eine ausgewogene Lebensbalance haben und ständig in einer flauschigen Wellbeing-Wolke über den Dingen schweben. Im alltäglichen Praxiswahnsinn wohl eher schwer umzusetzen, aber probieren kann man es ja mal….
Vielleicht klappt das ja besser durch Nutzung moderner Technologien?
PD Dr. Alexander Welk (Greifswald) schloss sich seinem Vorredner an und wagte einen Blick in die Kristallkugel. Wie sieht sie aus, die dentale Zukunft?
Die Implantologie scheint ihren Zenit bereits erreicht zu haben. Denn diejenigen, die sich Implantate leisten können, werden sie bald nicht mehr brauchen. Und jene, die Implantate bräuchten, werden sie sich nicht leisten können. Dies wird jedoch nicht zur Folge haben, dass der Beruf des Zahnarztes überflüssig sein wird. In anderen Fachbereichen sieht das etwas anders aus. Denn bereits jetzt gibt es Computer, die Krebs deutlich früher als Radiologen erkennen können. Für Zahnärzte sieht die FDI folgende Vision vor: „Verlagerung des Schwerpunkts unseres Modells von einem traditionell kurativen, in erster Linier pathogenen Ansatz, zu einem eher gesundheitserhaltenden Ansatz“.
Dass dieser Trend bereits in vollem Gange ist, zeigen konkrete Zahlen. Der DMFT-Index bei jungen Erwachsenen und jungen Senioren ist seit Jahren im Sinkflug, bei jungen Senioren hat sich zudem die schwere Parodontitis stark verringert. Entgegengesetzt beweisen steigende Absatzzahlen bei Mundspüllösungen, Zahnseide und elektrischen Zahnbürsten, dass das Niveau des Biofilmmanagements steigt.
Prophylaxe war gestern, Gesundheitsmanagement ist heute. Und sollte doch mal ein Zahn abdanken, wird es wohl schon bald Alternativen zu Titanschrauben geben. Stichwort „Tooth Bioengineering“.
Doch bis es soweit ist, setzen wir uns sicherlich noch einige Zeit mit der Verbesserung unserer Fähigkeiten in der Implantologie auseinander. Oftmals unterschätzt und Quelle vieler Probleme ist das richtige – oder eben falsche – Weichgewebsmanagement in Zusammenhang mit Implantaten.
PD. Dr. Michael Stimmelmayr (Cham) empfindet die Weichgewebschirurgie bei implantologischen Versorgungen als essentiell um keratinisiertes und zugfreies Weichgewebe zu erhalten. Ein zirkulär von Knochen umschlossenes Implantat ist ein wichtiger Erfolgsfaktor, eine stabile Weichgewebsmanschette schützt jedoch vor Hart- und Weichgewebsverlusten und ist in Folge dessen ebenso wichtig. Durch Verdickung der periimplantären Mukosa und Verbreiterung der keratinisierten Gingiva können Knochenresorptionen erfolgreich verhindert werden.
Das Behandlungskredo des Vortragenden lautet schlicht und einfach: „Ich behandle alle Patienten, als wären sie meine eigene Mutter.“ Fragen zu seiner Schwiegermutter wich er übrigens aus.
TABLE CLINICS – Prophylaxe
Fünf praxisnahe Themen, je zwanzig Minuten Zeit – die diesjährige TABLE CLINICS Premiere war ein Volltreffer. Die in einem 5-Eck angeordneten Sessions haben sich schnell zu einem wahren Highlight gemausert, sowohl für ZAss-PAss als auch für Zahnärzte.
Online-Votings & -Fragestellungen „vorher vs. nachher“ mit Smartspone ein Volltreffer | 80% Beteiligungsrate
Die legendäre Alm-Lounge Party
Gedanken an Schwiegermütter waren auch bei den Kongressteilnehmern nach den ersten Rockklassikern bei der Abendveranstaltung im Kitzbüheler Country Club verflogen. In entspannter Atmosphäre genoss man Köstlichkeiten vom Grill und aus dem Smoker, konnte sich bei einem Glas Wein mit Kolleginnen und Kollegen austauschen. Und spätestens bei Helenes „Atemlos“ riss es dann auch den letzten Bewegungslegastheniker von der Bierbank. Funktioniert immer noch. Unglaublich.
TABLE CLINICS – Erfolgsfaktoren in der Implantologie
Mit viel Schwung startete man also in den letzten Kongresstag. Der war auch nötig, denn die 20-minütigen „TABLE CLINICS für Zahnärzte“, bei denen man in Kleingruppen in unmittelbarer Nähe der Referenten saß, brachten viel Dynamik mit sich. Von der Auswirkung systemischer Faktoren, über die Wichtigkeit des Gewebeerhalts nach Zahnentfernung über die Therapie von Periimplantitis wurden verschiedenste Themen abgehandelt und angeregt diskutiert.
In einer so kurzen Zeitspanne eine Präsentation wirklich auf den Punkt zu bringen war wohl auch für die Referenten eine neue und spannende Erfahrung. „4 Stunden in 20 Minuten zu packen? Da stehst du aber mal richtig unter Strom!“ lautete das durchaus positiv gemeinte Fazit von Prof. Dr. Ralf Smeets.
Die abschließende Auswertung des Online-Votings mit vortragsbezogenen Fragen ließ gegen Ende aber auch bei den Teilnehmern nochmals echte Spannung aufkommen. „Interaktiv“ war also mehr als nur der Untertitel des Kongresses. Ein tatsächlich interaktiver Wissens- und Erfahrungsaustausch war das Ergebnis einer perfekt durchorganisierten Veranstaltung.
Hier konnte man sie spüren, die drei Ls. Leidenschaft, Lust und vielleicht sogar ein
bisschen Liebe.
Fotos © Robert Simon – dentaljournal